Interim – oder die Kunst der Improvisation

Pop-Up-Bar auf Governors Island, New York

Es muss nicht alles fertig sein, damit man es benutzen kann. Diese Lösung scheint in New York mit seinen ständigen Wandlungen, Erneuerungen und Verbesserungen des öffentlichen Raums, der Parks und Freizeiteinrichtungen besser verstanden als anderswo.

Governors Island zum Beispiel, ich habe schon davon in meinem Buch „Von New York lernen“ berichtet, wird schon seit geraumer Zeit als wunderbarer „Freizeit-Sommer-Fluchtort“ für überhitzte Städter in der New Yorker Bay benutzt – obwohl es sich neben wunderschönen schon entwickelten Freizeitflächen auch in weiten Teilen um verfallene Gebäude, Baustellen und sich selbst überlassene, unfertige Grünflächen handelt.

Also noch einmal kurz erzählt: Ein ehemaliger Militärstützpunkt, wird  2003 von einer Stiftung übernommen und soll sich Schritt für Schritt in eine grüne Oase mit vielfältigen Angeboten für die Freizeit der Großstädter verwandeln, mit hervorragender Aussicht auf die Freiheitsstatue und nur einen Katzensprung über den Buttermilk Channel (ca. 400 Meter breiter Kanal zwischen Governors Island und Red Hook, Brooklyn) entfernt. Die Fähre von Brooklyn nach Governors Island fährt übrigens an Wochenenden halbstündig und ist kostenfrei.

Diesen Sommer haben wir mal wieder einen Abstecher auf die Insel unternommen und – siehe da, wir fanden uns nach einem herrlichen „nap“ in einer Hängematte in dieser Bar bei Austern und Cocktail wieder. Vor uns der weltbeste Blick auf Downtown Manhattan.

Gleich neben verschiedenen Bauschildern, die den Bau einer größeren Hotel- und Wellness-Anlage am Nordwestlichen Ende der Insel verkünden, fanden wir diesen improvisierten Platz, der – wie die ganze Insel – nur in den Sommermonaten geöffnet ist,  dann aber intensiv benutzt wird und wahrscheinlich in ein paar Jahren wieder verschwindet um an einem anderen Ort neu aufzuploppen.

Sämtliche bauliche Elemente der Bar sind aus Schifffahrts-Containern gebaut. Die Bar selbst komplett mit Tresen und bequemen Sitzbänken ausgestattet, bietet noch eine kleine Tischtennisanlage und eine großzügige WC-Anlage an. Der Boden ist einfach betoniert und mit heller Farbe angestrichen, somit ist der Ort erkennbar definiert und umrissen.

Die WC-Anlage bereitet einem wirklich ein Vergnügen. Haben die Männer nicht immer vom grandiosen Blick aus der WC-Anlage des Rainbow Room im Rockefeller Center geschwärmt: „Boooaah, dort kann man im 65igsten Stock beim Händewaschen auf Midtown Manhattan und Central Park schauen!“

Ja, hier in dieser improvisierten Pop-Up Bar im halbfertigen Governors Island Park in der New Yorker Bay hat Mann und Frau beim Händewaschen auch eine phantastische „view“ – sogar unter freiem Himmel.

Jüngst lese ich auf der Webseite des Governors Island Park, daß ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben ist, der dieses Prinzip der Zwischennutzung auf Governors Island für die Versorgung der Inselbesucher mit Essen und Getränken weiter kultivieren soll.

Es werden weitere Ideen für Interimsnutzung dieses herrlichen Spots gesucht.

Für den Investor, der sich das angekündigte Projekt vorgenommen hat, entsteht durch eine Zwischennutzung an dieser Stelle der Effekt, daß der Ort und seine Qualitäten bekannt werden.

Und für die neugierigen NYer, die Entdeckungen in ihrer Stadt lieben, ist eine Stunde oder zwei in einer improvisierten Bar bestimmt sogar charmanter, als eine in jeder Hinsicht fertige Restauration.

Uns ging es wie den NYern. Wir freuen uns schon die nächste Pop-Up-Bar an einem unbekannten Spot zu entdecken, die nicht für die Ewigkeit bleiben muss.

Copyright 2017 Susanne Lehmann-Reupert